Archäologischer Text: |
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Scheidenmundblech von Bergakker
1. Fundgeschichte und Fundkontext
Das Scheidenmundblech von Bergakker (NoR 12), Provinz Gelderland,
Niederlande, wurde im Frühjahr 1996 von einem
Amateurarchäologen bei
Begehungen mit einem Metalldetektor gefunden. Der Fundort liegt in der
Nähe des Ortes Kerk-Avezaath, westlich
der Stadt Tiel, in der Betuwe, einem Naturraum zwischen Niederrhein
und Maas. Die Betuwe wird von der Waal
durchflossen und ist durch besonders fruchtbare Böden
gekennzeichnet. Das Scheidenmundblech wurde an einer Biegung des
kleinen Flüßchens Linge gefunden. Die Betuwe gehörte
während des 4. Jh.s nicht zum friesischen Gebiet, sondern
wurde von einer vollständig romanisierten Bevölkerung
kontrolliert, bis der Limes um 400 n. Chr. fiel und die Region von
verschiedenen germanischen Stämmen überrannt wurde (Looijenga
1999c, 142).
Der Fundplatz Bergakker war im 2. und 3.
Jh. ein
Opferplatz, der durch einen römischen Altarstein (bereits 1950
entdeckt) sicher
nachgewiesen
werden konnte. Bislang ist unbekannt, wie lange diese Nutzung andauerte
(Looijenga 1999c, 145); im unweit gelegenen Tempel von Empel (20
km südlich von Bergakker) scheint es im 4. Jh. nach dessen
Zerstörung zum Abbruch des Kultes gekommen zu sein. Systematische
Begehungen im Umfeld der Fundstelle
Bergakker ergaben weitere Metallfragmente (hauptsächlich aus
Bronze), wie
verschiedene Münzen,
zahlreiche Fibeln, ein Fragment einer Bronzestatue, ein Eisengewicht,
ein medizinisches Instrument, Schmuckobjekte, ein silbernes
Votivplättchen und diverse weitere
Objekte und Fragmente (auch Schmelzreste), die auf Basis der Fibeln
überwiegend in das 1. bis 5.
Jh. datiert werden und durchaus im Kontext mit dem
Heiligtum gesehen
werden können (Looijenga 1999c, 146f.). Es muß jedoch auch
eine profane Deutung des Komplexes, als Restedepot zum
Umschmelzen, in Betracht gezogen werden (Bosman/Looijenga 1996, 9f.;
Looijenga 2003b, 317; Quak 1997a,
15; 1997b, 39). Wegen des Materialwertes der gefundenen Objekte
erscheint die Bezeichnung „Abfallplatz“
(Seebold 1999a, 157) jedoch
unpassend und unwahrscheinlich.
Das Objekt befindet sich im Museum het Valkhof, Nijmegen, Niederlande.
2. Inschriftobjekt
Das Scheidenmundblech (oberer Abschluß der Schwert- oder
Dolchscheide) ist überwiegend aus vergoldetem Silber gefertigt.
Die unverzierte
Rückseite ist von der Vergoldung jedoch ausgenommen. Das Objekt
ist 8,3 cm lang und 1,4 cm hoch. Der obere Rand ist umlaufend
rechtwinklig nach außen gebogen, wobei die Kante an
der „Schauseite“ etwas breiter gestaltet ist. Im
vorderen
Bereich
ist der umgebogene Rand mit Halbkreisen und Punkten versehen. An der
Vorderseite sowie den
beiden gebogenen Schmalseiten ist das Scheidenmundblech mit Halbkreisen
und Punkten sowie Graten und Riefen flächig ornamental
verziert. Diese bilden an der Front ein breites, u-förmiges
Muster, während die Seitenteile einfacher, mit parallelen,
plastischen Wülsten gestaltet sind. Bosman zieht in Betracht,
daß
es sich bei dem Objekt selbst nur um ein Fragment handelt, da auf dem
umgebogenen oberen Rand ein
weiteres, verziertes Stück aufgebracht gewesen sein könnte;
dies würde die dort angebrachte Verzierung allerdings verdecken.
Außer zwei Kerben am unteren Rand des Scheidenmundblechs sind
keine Gebrauchsspuren feststellbar. (Bosman/Looijenga 1996, 9).
3. Anbringung und Zustand der Inschrift
Die rechtsläufige Runeninschrift ist auf der glatten, unverzierten
Rückseite des
Mundbleches mit einem scharfen Gerät klar und tief eingeschnitten
worden. Die Inschrift füllt den zur Verfügung stehenden
Raum annähernd vollständig aus. In
der linken Hälfte ist sie einzeilig angebracht, die Köpfe der
Runen grenzen an den oberen, umgebogenen Rand, zum unteren Rand hin
bleibt mehr Raum. Die Zeichen werden hier von links nach rechts höher, die letzten drei Zeichen
schließlich nehmen die volle Höhe ein. In der rechten
Hälfte sind die Runen doppelzeilig angebracht, wobei die beiden
Zeilen
durch einen langen, annähernd waagerechten Strich klar getrennt
wurden. In der
unteren Zeile mußten die Zeichen zunehmend gedrungen
ausgeführt
werden, um noch Platz zu finden. Am Ende der unteren Zeile ist eine
Zickzacklinie als Abschluß eingeritzt, vermutlich um den freien
Platz
auszufüllen (Bosman/Looijenga 1996, 10). Alle Zeichen sind
deutlich erkennbar, nur im vorderen Teil der Inschrift haben einige
Zeichen im oberen Bereich durch Korrosion gelitten. Über den
genauen Zeitpunkt der Anbringung der Inschrift gibt es keine sicheren
Erkenntnisse.
Möglicherweise
wurde die Ritzung erst angebracht, nachdem das Objekt aus
römischem Besitz geraubt wurde (Quak 1999, 175).
4. Verbreitung und Datierung
Die Herkunft des Fundstücks wird verschiedentlich
diskutiert. Das Scheidenmundblech ist möglicherweise
provinzialrömischer Herkunft
und steht in direktem Zusammenhang mit der Militärausrüstung (Quak
1997a, 17). Die
Ornamente auf dem Mundblech finden gute Parallelen im norddeutschen und
nordgallischen Raum (Looijenga 1999c, 141). Ein besonders guter
Vergleich ist aus Gennep, Provinz Limburg, bekannt. Dieser Fund
stammt aus
einer Siedlung des späten 4. und frühen 5. Jh.s, die
von germanischen Einwanderern errichtet wurde (Bosman/Looijenga 1996, 9; Looijenga 1999c, 141; 2003b, 317).
Das Scheidenmundblech aus Bergakker datiert in das frühe 5.
Jh.,
möglicherweise auch noch in das ausgehende 4. Jh.
(Bosman/Looijenga 1996, 10; Looijenga 1999c, 141; 2003b, 317).
5. Kulturhistorische/Sozialgeschichtliche Interpretation
Aufgrund des engen Bezugs zum römischen Militär vermutet Quak
(1997a, 17; 1999, 175), daß es sich bei dem Träger des
Stückes um einen Germanen in römischen Diensten handelte.
Diese Interpretation deckt sich mit der starken Germanisierung der
römischen Armee im Verlauf des 4. Jh.s. Ein Scheidenmundblech aus Edelmetall ist sicherlich zur gehobenen
Militärausstattung zu rechnen. Eine genauere Einordnung des
sozialen Ranges des Trägers ist aber nicht möglich. Inwiefern
das Objekt in Zusammenhang mit einem Opferplatz gesehen werden muß,
ist bislang ungeklärt; ein entsprechendes Szenario entwirft jedoch Looijenga (1999c, 147).
Literatur:
Bammersberger 1999d; Bosman/Looijenga 1996; Looijenga 1999c; 2003b; Quak 1997a; 1997b; 1999; Seebold 1999a.
Annette
Siegmüller
(Stand: 2008)
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